Medizinnobelpreis 1956: André Frédéric Cournand — Werner Forßmann — Dickinson Woodruff Richards

Medizinnobelpreis 1956: André Frédéric Cournand — Werner Forßmann — Dickinson Woodruff Richards
Medizinnobelpreis 1956: André Frédéric Cournand — Werner ForßmannDickinson Woodruff Richards
 
Der französisch-amerikanische Mediziner Cournand, der deutsche Chirurg Forßmann und der amerikanische Physiologe Richards erhielten den Nobelpreis für ihre Entdeckungen zur Herzkatheterisierung und zu den pathologischen Veränderungen im Kreislaufsystem.
 
 Biografien
 
André Frédéric Cournand, * Paris 24. 9. 1895, ✝ Great Barrington (Massachusetts, USA) 2. 2. 1988; 1914 Diplom in Physik, Chemie und Biologie an der Sorbonne in Paris, anschließend Beginn des Medizinstudiums, 1914-18 Sanitätsarzt und Bataillonschirurg in der französischen Armee, 1930 Promotion, 1931 Assistenzarzt am Bellevue Hospital in New York, 1941 amerikanischer Staatsbürger, 1951 Professor am Columbia University College of Physicians and Surgeons, 1964 Emeritus.
 
Werner Theodor Otto Forßmann, * Berlin 29. 8. 1904, ✝ Schopfheim 1. 6. 1979; 1929 Promotion und Approbation, 1936 erster Oberarzt der chirurgischen Kliniken des Stadtkrankenhauses Dresden-Friedrichstadt, 1938 Oberarzt am Robert-Koch-Krankenhaus in Berlin, 1939 Sanitätsoffizier, 1947 praktischer Arzt im Schwarzwald, 1950 Leiter der urologischen Abteilung der Diakonie-Anstalten in Bad Kreuznach, 1958-70 Chefarzt der chirurgischen Abteilung des Evangelischen Krankenhauses in Düsseldorf und Honorarprofessor.
 
Dickinson Woodruff Richards, * Orange (New Jersey, USA) 30. 10. 1895, ✝ Lakeville (Connecticut) 23. 2. 1973; 1923 Promotion im Fach Medizin, 1923 Arzt im Presbyterian Hospital in New York, 1927 Forschungsaufenthalt in London bei Sir Henry Dale, 1931 Beginn der Forschungsarbeiten mit A. Cournand am Bellevue Hospital in New York, 1945 Professor an der Columbia University, 1961 Emeritierung, 1962 Präsident der Better Bellevue Association, Initiierung der Rekonstruktion des Bellevue Hospitals, Einsatz für die Verbesserung der Gesundheitsversorgung alter Menschen.
 
 Würdigung der preisgekrönten Leistung
 
Als Assistenzarzt in der chirurgischen Abteilung eines Krankenhauses in der kleinen Stadt Eberswalde, nordöstlich von Berlin, wurden Forßmann die Unsicherheiten und Ungenauigkeiten der Diagnostik von Herzkrankheiten offensichtlich, für die neben der klassischen Perkussion und Auskultation die moderneren Methoden der Röntgenuntersuchung und der Elektrokardiographie zur Verfügung standen.
 
Während die Pathologie längst umfassende und differenzierte Kenntnisse über die Herzkrankheiten vermittelt hatte, konnte man auf dem Wege der Diagnostik nur sehr vage Erkenntnisse über sie gewinnen. Die physiologischen Zusammenhänge zwischen Herz- und Lungenfunktion, zwischen Kreislauf und Atmung ließen sich nur unzureichend bestimmen und waren ungeeignet, die Dynamik der Herz-Lungen-Funktionen zu beschreiben. Dementsprechend war auch die Therapie trotz mancher Erfolge von Empirie geprägt, oft ungezielt und unbefriedigend.
 
 Herzkatheterisierung im Selbstversuch
 
Forßmann glaubte, dass diese Probleme gelöst werden könnten, wenn man einen Weg fand, gefahrlos in das Herz einzudringen, ohne die komplizierten Druckverhältnisse im Thorax zu stören, ohne vegetative Reflexbahnen anzutasten und ohne wichtige Lebensfunktionen durch eine Narkose zu verändern. Er erinnerte sich an Arbeiten von Bernard, Chauveau und Marey aus den 1850er- und 1860er-Jahren, in denen unter anderem die Einführung eines Katheters durch die Halsvene eines Pferds in das Herz beschrieben wurde. In der Literatur fand er eine ganze Reihe weiterer Berichte von erfolgreichen Tierversuchen. Im Frühsommer 1929 waren seine Überlegungen soweit gediehen, dass er einen klinischen Versuch in allen Einzelheiten vorbereitet hatte.
 
Er trug das Projekt seinem Chef vor, der jedoch an dem kleinen Krankenhaus jedes Experiment, das noch nicht von großen Kliniken erprobt war, strikt untersagte. So kam es im Sommer 1929 zum ersten Selbstversuch einer Katheterisierung des rechten Herzens, kombiniert mit der Darstellung im Röntgenbild. Nach dem Wechsel an die Berliner Charité folgten weitere Selbst- und Tierversuche, wobei unter anderem die Einführung von Röntgenkontrastmitteln in die Herzkammer und eine verbesserte Röntgenaufnahmetechnik erprobt wurden (Röntgenkinematographie nach Gottheiner).
 
Da sowohl die technischen Voraussetzungen der Druck- und Volumenbestimmungen wie die der von Forßmann im Prinzip entwickelten Angiokardiographie ungenügend waren, die Ärzteschaft die unorthodoxe Methode fast einhellig ablehnte und als Tabubruch empfand, auch Forßmanns Chef Ferdinand Sauerbruch das neue Verfahren vollständig ignorierte, wurden die Ergebnisse schnell vergessen. Für Forßmanns Karriere waren sie sogar hinderlich, und er hatte, um seine berufliche Laufbahn nicht zu gefährden, nach 1931 alle weiteren Untersuchungen in der Kardiologie eingestellt. Enttäuschung und Resignation klangen an, als er sich nach der Verleihung des Nobelpreises als Leitfossil der Kardiologie bezeichnete.
 
 Auf Forßmanns Spuren
 
Cournand und Richards arbeiteten seit 1935 am Bellevue Hospital über die Physiologie von Atmung und Kreislauf und die Pathophysiologie angeborener und erworbener Herz- und Lungenkrankheiten. Ihre Arbeitshypothese war, dass Herz und Lungen, Kreislauf und Atmung ein untrennbares Sysem für den Austausch der Atemgase zwischen der Atmosphäre und den Körpergeweben bilden. Sie schlossen daraus, dass die Messung von physiologischen Daten im Herzen Aufschluss über das gesamte Atmungs- und Kreislaufsystem geben könnten.
 
Seit 1939 führten sie an Hunden und Schimpansen Katheterversuche aus, und 1941 folgte die erste Katheterisierung des rechten Vorhofs beim lebenden menschlichen Herzen, wobei sich Cournand direkt auf Forßmanns Versuche bezog.
 
Die inzwischen erheblich verbesserten und verfeinerten Methoden erlaubten die Messung der Blutgase, der Blutströmung und des transportierten Blutvolumens pro Zeiteinheit, des Blutdrucks im rechten Atrium, rechten Ventrikel und der Lungenschlagader sowie des Gesamtblutvolumens. Dabei konnte auch gezeigt werden, dass selbst eine siebenstündige Katheterisierung keine negative Wirkung hatte.
 
In den folgenden Jahren gelang es ihnen, mithilfe des umfassenden klinischen Datenmaterials ein System zur physiologischen Klassifizierung der Lungeninsuffizienzen zu entwickeln. Ein wesentlicher Fortschritt bestand darin, die Herz-Lungen-Funktionen nicht nur im Ruhezustand, sondern auch unter wechselnden Belastungen verfolgen zu können. Zudem konnte auch die physiologische Wirkung von Herzmitteln wie beispielsweise den seit langem angewendeten Digitalispräparaten ermittelt werden.
 
Wesentliche Erkenntnisse gelangen während des Zweiten Weltkriegs über die Pathophysiologie des nach schweren Verletzungen oftmals auftretenden Kreislaufschocks. Cournand und Richards waren maßgeblich beteiligt, die Herzkatheterisierung zu einer klinischen Routinemethode zu machen, die mit der parallel dazu erheblich verbesserten Röntgenkardiographie eine exakte Diagnostik ermöglichte. Beide schufen damit wichtige Grundlagen der modernen Herzchirurgie.
 
M. Engel

Universal-Lexikon. 2012.

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